Die Kamera schwenkt über eine schachbrettartig
angelegte, amerikanische Vorortsiedlung. Die Aufnahmen aus der Höhe
kommentiert eine gefasst wirkende Stimme mit den folgenden Worten: "Mein
Name ist Lester Burnham. Das ist meine Nachbarschaft. Das ist meine Strasse.
Das ist mein Leben. Ich bin 42 Jahre alt. In weniger als einem Jahr werde
ich tot sein," fährt die Stimme beinahe emotionslos fort. "Natürlich
weiss ich das jetzt noch nicht. Aber irgendwie bin ich jetzt schon tot."
Im Grunde sollte Lester Burnham (Kevin Spacey) die ganze Welt vor Freude
umarmen. Denn er lebt zusammen mit seiner Frau Carolyn (Annette Bening)
und der gemeinsamen Tochter Jane (Thora Birch) in einem schmucken Haus,
hat einen gut bezahlten Job und fährt sein eigenes Auto. All dies
lässt Lester jedoch nicht in Freudengeschrei ausbrechen. Er fühlt
sich unzufrieden und leblos. Die morgendliche Masturbation unter der Dusche
ist für ihn bereits der Höhepunkt des ganzen Tages. Der Familienvater
hat den American Dream längst ausgeträumt. Es bleibt ihm nur
eine radikale Lebensveränderung, um aus seiner Totenstarre zu erwachen
und den Alltagstrott abzustreifen. Er raucht mit dem Freund seiner Tochter
und Nachbarsjungen Ricky (Wes Bentley) gelegentlich einen Joint, kauft
sich einen schnellen Schlitten, von dem er schon als junger Bursche geträumt
hat, hängt seinen Job an den Haken und erpresst seinen Chef nebenbei
noch um einen kleinen Extralohn. Zudem versucht er sein Sexleben mit seiner
Gattin wieder in Schwung zu bringen und stemmt fleissig Gewichte, um seine
geheimsten, sexuellen Fantasien mit der töchterlichen Freundin Angela
(Mena Suvari) Realität werden zu lassen. Lesters Umfeld reagiert zuerst
mit Erstaunen, dann mit Unverständnis und Ablehnung auf seinen neuen
Lebensstil. Die Reaktionen fallen derart heftig aus, dass der zu Beginn
geschilderte Tod von Lester Konturen annimmt und sich als eiskalter Mord
herausstellt.
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Von Zeit zu Zeit purzelt ein Film vom Kinohimmel, welcher bereits im
Vorfeld grosse Erwartungen weckt und als Meisterwerk hochgejubelt wird.
Ist der Film dann einmal auf der Leinwand angelaufen, stellt sich die vermeintliche
Gabe Gottes nur als irdisches Handwerk heraus, das die Erwartungen nicht
erfüllen kann. "American Beauty" hat ebenfalls Unmengen an Vorschusslorbeeren
geerntet. Im Unterschied zu den meisten anderen Produktionen wird der Film
aber seinem Ruf locker gerecht. Ja, er vermag die kühnsten Erwartungen
sogar noch zu übertreffen.
Dass "American Beauty" so deutlich aus der breiten Masse herausragt,
hängt von ganz unterschiedlichen Faktoren ab. Erwähnenswert ist
das hervorragende Drehbuch von Alan Ball. Er liefert nicht nur eine Komödie,
welche einen amüsanten und kritischen Blick auf die amerikanische
Gesellschaft wirft. Der Film ist zusätzlich wie eine Tragödie
angelegt. Spannung wird erzeugt, indem die Hauptfigur Lester bereits mit
den ersten Worten das Publikum wissen lässt, dass er in einem Jahr
tot sein wird. Wie es zu dem Mord kommt und wer hinter der üblen Tat
steckt, wird natürlich noch nicht verraten. Während dem Film
werden dann verschiedene Fährten gelegt, sodass jeder Zuschauer selber
zum Hobby-Detektiv mutiert. Neben dem Drehbuch bestechen die einzelnen
Schauspieler mit ihren dargebotenen Leistungen - allen voran Kevin Spacey.
Spacey hat sich in der Vergangenheit hauptsächlich als Darsteller
von dunklen Typen hervorgetan. Mit dem Oscar als bester Nebendarsteller
wurde er in "The Usual Suspects" für sein herausragendes Schaffen
geehrt. Mit "American Beauty" tritt er nun den Beweis dafür an, dass
er nicht nur das "Böse", sondern auch andere Charaktere mit Leichtigkeit
spielen kann. Im Verlauf des Films wandelt er sich auf eindrückliche
Weise vom unscheinbaren Versager zum rebellischen Lebenskünstler.
Unterstützt wird Spacey durch Annette Bening. Sie gibt die Geschäftsfrau
und Familienmutter wieder, welche sich weder von ihrem Mann noch von ihrer
Tochter verstanden fühlt. Neben Spacey und Bening sorgen zudem die
Nachwuchstalente Thora Birch, Mena Suvari und Wes Bentley für schauspielerisches
Entzücken. Sie hauchen ihren vielseitigen Charakteren Leben ein und
machen das auf den ersten Blick teilweise sonderbar anmutenden Handeln
erst richtig verständlich. Beachtenswert ist zusätzlich die Arbeit
des Regiedebütanten Sam Mendes. Im Gegensatz zur Theaterbühne,
wo er als erfolgreicher Regisseur arbeitete, ist er im Kinogeschäft
noch ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. In seinem ersten Werk führt
er nun Regie wie ein alter, erfahrener Hase. Hilfreich dürfte gewesen
sein,
dass Mendes als Brite von aussen die amerikanische Gesellschaft begutachten
konnte. Das ermöglichte eine objektive Betrachtung, was eine unabdingbare
Voraussetzung für das Gelingen des ganzen Unternehmens war. Das Resultat
ist ein genialer, mit wunderbaren Bildern gespickter Film geworden, den
man so schnell nicht vergisst und sowohl jung, als auch alt anspricht.
Wie der Titel bereits verrät, befasst sich "American Beauty" mit
der Wahrnehmung von Schönheit. Viele Menschen setzten Schönheit
mit Äusserlichkeiten gleich - zum Beispiel gutes Aussehen, ein
PS-starker Schlitten oder ein gutbezahlter Job. Vom Äusseren wird
oftmals aufs Innere geschlossen, während sich hinter der schönen
Fassade ein unglückliches Wesen verbirgt. Vielmehr sind es auf den
ersten Blick bedeutungslose, unscheinbare Dinge, welche unsere Existenz
lebenswert werden lassen und die Schönheit ausmachen. Eindrücklich
wird dies in einem Video aufgezeigt, das sich Lesters Tochter gemeinsam
mit ihrem Freund ansieht. Dort tanzt ein weisser Plastiksack umgeben von
braunen Laubblättern mit dem Wind. Diese unspektakulären Bilder
strahlen dennoch unglaublich viel Schönheit aus. Nicht nur in der
eben beschriebenen Szene entsteht der Eindruck, dass es wirklich einen
Kinogott gibt. Sollte dieser tatsächlich existieren, so ist es ihm
gelungen einige der besten, irdischen Kräfte zu vereinigen und daraus
ein faszinierendes, unvergessliches Meisterwerk entstehen zu lassen.
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